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Kurzgeschichte Nr.01

Der Fleck

Der Fleck war hartnäckiger als erwartet. Dunkelbraun hob er sich vom Parkett ab, obwohl sie schon seit zwanzig Minuten mit Seife, Bürste und Lappen schäumte, schrubbte und wischte. Die Umgebung des Flecks hob sich immer deutlicher vom Rest des Bodens ab. Sie würde Öl auftragen müssen, um das zu kaschieren. Würde der Fleck heller werden, wenn er getrocknet war? Sie holte den Fön aus dem Bad. Dabei streifte ihr Blick das Waschbecken. Noch lagen Bartstoppeln darin, aber damit würde nun auch Schluss sein. Das Kabel des Föns war zu kurz. Sie ging in den Keller, um ein Verlängerungskabel zu holen. Der Hobbykeller war penibel aufgeräumt – er war also durchaus in der Lage gewesen, Ordnung zu halten.

Sie föhnte die Stelle, das Holz wurde hell, der Fleck blieb dunkel. Sollte sie etwas darüberstellen? Den Mülleimer? Oder großzügig Kaffee darüber gießen? Rotwein würde eine ähnliche Farbe hinterlassen. Sie könnte von einer Party erzählen, bei der ein Gast sein ganzes Glas auf den Boden gekippt hatte. Nur gäbe es diesen Gast nicht, sollte die Polizei mit ihm sprechen wollen. Außerdem wäre eine Party unpassend. Wäre es glaubhaft, dass sie ihren Kummer in Rotwein zu ertränken versucht hatte und ihr dabei das Glas heruntergefallen war? Ihre Freunde könnten bezeugen, dass sie zumindest früher gerne Rotwein getrunken hatte – bevor sie ihr Leben in den Griff bekommen hatte.

Sie holte zwei Flaschen Merlot aus dem Keller, schüttete eine davon in die Spüle, öffnete auch die zweite und füllte ein großes Glas zur Hälfte damit auf. Dann zog sie ihre Lippen mit dem Lippenstift nach und nippte ein paar Mal am Glas. Sie legte ihre Finger an die bauchige Stelle, umfasste den Stiel und drehte das Glas in der Hand, bevor sie seinen Inhalt über den Fleck am Boden goss. Hätte sie ihn vorher mit Desinfektionsmittel einreiben sollen, damit keine DNA-Spuren mehr zu finden waren? Sie nahm die Küchenrolle und tunkte den Rotwein auf, ging ins Bad und holte das Desinfektionsmittel aus dem Schrank. Es hatte dort einen festen Platz, neben Schere und Pflaster. Sie tränkte den Fleck damit, wischte mit Wasser nach und trocknete die Stelle mit dem Fön. Sie nahm die Flasche und goss erneut Rotwein auf den Fleck. Ein bisschen einziehen sollte er schon, damit er eine Spur hinterließ. Währenddessen föhnte sie das Glas, sodass die Fingerabdrücke zusammen mit dem Lippenstift und eingetrockneten Weinresten ein glaubhaftes Bild ergaben. Dabei achtete sie darauf, den Wein nicht an den Rand zu pusten, das würde auffallen.

Wann würden sie kommen? Sie hatten keine genaue Uhrzeit genannt. Sollte sie noch nicht fertig sein, wenn sie kamen, könnte sie das erklären. Sie wäre verkatert und habe den Fleck erst jetzt bemerkt. Zwei Flaschen an einem Abend wären zu viel gewesen. Sie wischte mit dem Lappen über die Rotweinpfütze. Die Konturen des ersten Flecks waren noch zu sehen. Sie tupfte ein wenig Wein an seine Ränder, dabei dachte sie an den Aquarellmalkurs, den sie letzten Sommer belegt hatte. Er hatte sich geweigert, ihre Farbimpressionen ins Wohnzimmer zu hängen. Sie würde weiße Rahmen kaufen und die Bilder überall im Haus verteilen. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Die Konturen hatten sich aufgelöst, die Farbübergänge waren fließend. Sie föhnte den Fleck erst warm, dann kalt. Kaum hatte sie den Fön an seinen Platz zurückgebracht, klingelte es an der Tür. Sie schloss die Badezimmertür und ging hinunter zur kleinen Diele. Die Schuhe standen ordentlich nebeneinander, seine Schuhe würden auch noch eine Weile dort stehen, aber zumindest waren sie nun sauber. Sie rückte das kleine Landschaftsgemälde gerade, das neben der Haustür hing, strich sich die Haare glatt und öffnete die Tür.

„Guten Morgen, Frau Ewald. Wir haben da noch ein paar Fragen.”

Sie hatte ihn als vermisst gemeldet. Er sei vom Joggen nicht mehr heimgekommen. Sein Handy hatte er leider nicht dabei.

„Danach gehen wir mit den Hunden. Haben Sie ein Kleidungsstück, das er getragen hat? Einen Schuh? Oder sein Kopfkissen? Dürfen wir kurz reinkommen? Die Hunde haben eine sehr feine Nase. Unglaublich, was sie schon erschnüffelt haben. Ich bin mir sicher, wir werden ihren Mann bald finden.”

© Christine Rechl 2023

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