Bereits zum zweiten Mal durfte ich bei den texttagen in Nürnberg auf dem textualienmarkt meinen Schreibworkshop „Erste Sätze“ anbieten. Die Teilnehmenden haben dafür einen Satz gezogen und in wenigen Minuten, ohne abzusetzen oder nachzudenken, daraus eine kurze Geschichte entstehen lassen. Es war wie immer spannend, welch erstaunliche Ideen dabei herauskamen – das Unterbewusstsein schreibt eben doch die besten Geschichten! Wer wollte, hat mir seinen Text geschickt, den könnt ihr hier lesen. Viel Spaß dabei und danke an die Autorinnen!
Manschettenknöpfe hatte sie schon lange nicht mehr gesehen.
Sie wirkten auf sie wie Relikte, Ordnungen einer lang vergangenen Zeit. Telefonzellen, eine 3. Klasse in Fernzügen, das Wort Stolz.
Und jetzt stand sie hinter diesem Mann, der Christian Lindner unvermittelt fragte, ob er ihm seine Manschettenknöpfe abkaufen dürfte. Eine Ehre, eine große sogar, wäre das ihm.
Lindner lehnte ab. Er schätze das Interesse. Aber eben diese Manschettenknöpfe, sie wären aus den Rheinisch-Westfälischen Kalksteinwerken, in denen sein Ur-Großvater damals gearbeitet habe. Er machte dabei eine Bewegung, als hielte er eine Spitzhacke in beiden Händen und würde die Luft vor sich abtragen. Eine Familientradition also, voll von persönlichem Wert. Und deshalb unverkäuflich.
Sie war auf diese Kundgebung der FDP auf dem Marktplatz ihrer Heimatstadt gegangen, so wie man morgens die Tageszeitung aufschlägt und den ersten Artikel liest, dessen Überschrift die Aufmerksamkeit erregt.
Natürlich kannte sie Lindner schon vorher. Von Markus Lanz, stilisierten Schwarz-Weiß Fotografien und einer Politik, die sie mit Leistung, Lohn und Lobbyismus assoziierte. Und seit neuestem mit dem Wort Schuldenbremse.
Sie amüsierte wie verwirrte der Gedanke, dass man entscheiden konnte, ob man Schulden machte oder nicht. Als Pflegekraft einer örtlichen Gesundheitseinrichtung für Menschen mit Demenz hätte sie diese Option in so manchen Monaten gerne in Anspruch genommen. Von klein auf hieß es sparen, sparen, Aktien haben. Trotzdem war mit ihrem Sparbuch kein Staat zu machen.
© Stefan Holler
Der Kaffee schmeckte bitter. Ich war am Anfang skeptisch: Brauchte ich diese Kaffeetasse wirklich, oder dachte ich nur, ich bräuchte sie? Der Geruch allein verleitet zum Wunsch, so aufregend, anziehend, aktivierend… Da stehen alle Härchen auf und die Körperzellen senden Signale ins Gehirn: „Ja, das möchte ich gerne.“ Der Geruch ist das, was ungefragt in die Nase steigt, bevor wir überhaupt einen Gedanken darüber fassen können. Ja, der Kaffeegeruch ist immer aufregend und lecker. Der Geschmack aber nicht immer. Es kommt eben darauf an, wie der Kaffee gemacht wird und wie die Röstung der Kaffeebohnen ist. Aus einer Espressomaschine kommt meistens etwas Gutes und Kräftiges. Meistens.
Obacht aber, wenn du in Rom in ein beliebiges touristisches Café reinplatzst, und espresso bestellst und dabei zusiehst, wie der gut aussehende italienische Barista ganz dunkle Kaffeebohnen mahlen lässt… das könnte ein bisschen zu dunkel geröstet sein und somit bitter… wie gerade eben. Na gut, aber ein Espresso in Rom mit dem Blick auf die Fontana di Trevi macht den Kaffee wiederum wertvoller. Irgendwie bittersüß.
Und dann noch der schwere Duft nach Lilien, der den Raum erfüllte. Wo kam er her? Ist hier ein Blumenhändler? Ah, nein, ein Mädchen ist vorbeigekommen und hat eine duftende Spur hinterlassen. Ich sehe vor ihrer Silhouette einen vollen, üppigen Lilienstrauß. Das macht mich neugierig: Ist es ein Geschenk?
Der Duft der Lilien vermischte sich mit dem Aroma des Kaffees und erzeugte eine seltsame, aber faszinierende Melange. Ich konnte meine Augen nicht von dem Mädchen abwenden. Sie hatte lange, dunkle Haare, die in weichen Wellen über ihre Schultern fielen, und trug ein weißes, sommerliches Kleid, das im leichten Wind spielte. Sie setzte sich an einen Tisch nahe dem Brunnen, den Strauß sorgfältig vor sich auf den Tisch legend.
Meine Gedanken drifteten ab. Wer war sie? Für wen waren die Lilien bestimmt? Ein Liebhaber, ein Familienmitglied, oder vielleicht für jemanden, der ihre Liebe zu Blumen teilte? Die Neugierde nagte an mir. Vielleicht sollte ich einfach aufstehen und sie fragen. Aber was, wenn sie mich abwies? Oder schlimmer noch, was, wenn sie dachte, ich sei nur ein aufdringlicher Tourist?
Während ich noch überlegte, bemerkte ich, dass sie plötzlich aufstand und den Lilienstrauß in den Brunnen warf. Das Wasser trug die weißen Blütenblätter davon, während sie sich umdrehte und in eine Richtung verschwand, die mich weiter in die verwinkelten Straßen Roms führte. Die bittersüße Melancholie des Moments war greifbar.
Vielleicht war es Schicksal, vielleicht einfach nur Zufall, aber in diesem Moment beschloss ich, dem Geheimnis zu folgen.
© Ina Panushkina
Als ob es nicht schon genug gehabt hatte, holte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
aus dem Kühlschrank nimmt er Bier
es ist die richtige Zeit dafür
für Bier ist immer die richtige Zeit
die Zeit für Hartes ist noch weit
er weiß, er hatte schon genug
die drei, vier Bierchen vorhin im Krug
das Viertel Rotwein zur Nudelpfanne
danach der Weiße in der Kanne
ein Pegel steigt meist, wenn er trinkt
doch heute nicht, die Stimmung sinkt
die Stimmung sinkt, das ist ihm neu
es ist ihm gar nicht wohl dabei
bin ich wohl krank denkt er entsetzt
was hilft, was heilt, was brauch ich jetzt?
ist es was Schlimmes, bin ich dran
bricht wohl mein letztes Stündlein an?
oh Schicksal, dann erlaube mir
ein allerletztes kühles Bier
erneut wankt er zum Kühlschrank hin
als ob es nicht …
© Lydia Wagener
Ihre Mutter hatte sie gewarnt, doch zum Umkehren war es zu spät.
Sie war nicht der Typ, der nicht auf ihre Mutter hörte, oft waren deren Ratschläge mehr Rat als Schläge. Doch dieses Mal war es anders. Woran das lag?
Schwer zu sagen. Es war ein leichter Wind gegangen, am Morgen hatte sie der ungewöhnlich aussehende Mann in der Tram angelächelt und die Luft roch anregend nach Limette. Sie hatte einfach Lust, grüne Hose mit blauer Bluse zu tragen, eine Kombination, vor der ihre Mutter sie üblicherweise warnte.
Keine Warnungen heute. Das formierte sich also schon den ganzen Tag in ihrem Kopf. Bitte keinen Rat-Schlag heute. Und als sie das dachte, versäumte sie es, an der gewohnten Haltestelle auszusteigen, sie fuhr einfach weiter, weiter, bis
© Sabine Burkhardt