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Es sind tolle Texte entstanden in meinem Schreibworkshop »Erste Sätze« beim textualienmarkt der texttage Nürnberg

Die Teilnehmer*innen hatten viel Spaß bei meinem Schreibworkshop »Erste Sätze«, der im Rahmen der texttage Nürnberg am 8. Juli auf dem textualienmarkt stattgefunden hat. Nach anfänglicher Scheu – „kann ich das?“ – haben sich viele für 15 Minuten bei mir an den Tisch gesetzt, aus einem großen Glas einen Zettel mit einem Satz gezogen, und ohne abzusetzen mit Stift tolle Texte aufs Papier gezaubert. Die ersten Sätze hatte ich vorgegeben, und dabei im Hinterkopf, dass es Krimigeschichten werden sollten – aber es war jedem und jeder freigestellt, was er oder sie aus dem Satz entstehen lässt. Vielen Dank an die Teilnehmer*innen! Ein besonderer Dank an die, die mir ihre Texte im Nachgang geschickt haben, damit ich sie hier (in alphabetischer Reihenfolge) mit freundlicher Erlaubnis veröffentliche. Ich bin beindruckt, was in der kurzen Zeit entstanden ist! Viel Spaß beim Lesen!

Schwarze Vögel kreisten über dem Wald. Die Sonne stieg gerade am Horizont in den Himmel. Ein Wanderer tauchte seine Füße in den nahen See, schnürte seine Stiefel und machte sich auf den Weg.

–    Was will ich eigentlich mit dem Weggehen bezwecken? Wovor laufe ich weg?

Er hat vor zwei Tagen alles hinter sich gelassen. Den Beruf an den Nagel gehängt. Die Freundin zu Hause weiß von nichts. Nur sein Hund ist bei ihm. Der fragt nicht, lässt ihn sein, wie er ist. Liebt ihn bedingungslos.

Der Wald nahm ihn auf. Hier waren die Gedanken frei und fast unbeschwert.

–    Wie weit will ich gehen? – dachte er. Wie lange? Wann melde ich mich?

Schon wieder kreisten seine Gedanken um die anderen. Er wollte doch etwas anderes finden.

Das Gehen sei heilsam, hatte er gelesen, in einem Seminar davon gehört. Er wollte endlich zur Ruhe kommen, das, was er getan hatte, vergessen. Leichter gesagt, als getan. Im Gehen tanzten erst recht die Gedanken durch seinen Kopf.

Nun war er schon drei Stunden unterwegs und allmählich geriet er immer tiefer in den Wald hinein. Die Vögel waren verschwunden. Unheimlich still war es geworden und die morgendliche Sonne war auch verschwunden. Trüb wie seine Stimmung erschien ihm die Umgebung, doch plötzlich tat sich eine Lichtung auf. Dort saß eine alte Frau mit einem Korb voller Pilze und Blumen. Er hatte eigentlich kein Verlangen, jemanden zu treffen. Wollte mit niemandem sprechen. Die Frau erhob sich, gesellte sich an seine Seite und begann, auf ihn einzureden. Wo kam sie her, hier am Ende der Welt, in dieser Abgeschiedenheit? In diesem so weit von zu Hause entfernten Land? Sie sprach nicht seine Sprache und trotzdem meinte er, sie zu verstehen. Eine Gemeinsamkeit glaubte er zu spüren. Sie unterhielten sich in zwei Sprachen, von denen jeder die andere nicht kannte.

Dann brach der Tag an und er erwachte aus seinem tiefen Traum. Schwarze Vögel kreisten über dem Wald.

© Renate Braun, Nürnberg


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Die Stimme des Reiseführers machte sie schläfrig. Aber ihre innere Unruhe wollte nicht weichen. John hatte sich seit gestern Abend nicht mehr gemeldet. Die Fontana die Trevi glitt vorbei. Es war ihr erster Aufenthalt in Rom. Die Presseagentur hatte sie eingeladen. Und sie hatte die Einladung gerne angenommen. John wiedersehen. Was für eine wunderbare Gelegenheit. Ein alter Freund – vielleicht mehr? Sie hatten sich zum Essen in der Trattoria Funiculosa verabredet. Er war nicht erschienen. Erst war sie entrüstet, dann enttäuscht und wütend und besann sich doch den Abend alleine zu genießen. Hinterließ Nachricht um Nachricht. Die unbeantworteten Messages hinterließen ein ungutes Gefühl. Mittlerweile befürchtete sie, dass ihm was zugestoßen sein könnte. War er nicht an so einer Sache dran? Sie schreckte aus dem Halbschlaf hoch. Der Reisebus war am Hotel angekommen. Alle Kollegen waren bereits ausgestiegen. Auf ihren Nebensitz erkannte sie Johns blaue Schirmmütze. Wie konnte das sein ? Sie war wasserblau wie seine Augen. Am Rand etwas Rotes.. sie griff danach.. es war Blut. Sie erstarrte. Mitten in Italien. Wo war John, und wer wusste um Ihre Verbindung? Jemand hatte sie im Bus beobachtet. Betäubt stand sie auf und verließ unschlüssig den Bus. Die Mütze in der Hand war noch warm…

© Daniela Wunderlich


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Außer dem Tropfen eines Wasserhahns war nichts zu hören.

  „Kann Caro morgen, oder nicht?“ Sie stellt diese Frage nur, um sich nicht auf das hässliche Geräusch konzentrieren zu müssen. Lena merkt es und gibt ihr keine Antwort. Beiden ist es egal, ob Caro kommen wird.

  Lena geht zum Spülbecken, beginnt die wenigen Tassen und den Suppentopf vom Mittagessen abzuwaschen. Dann tropft er wenigstens nicht, denkt sie, und findet es albern, überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden. Niemand außer Caro traut sich ihrer Schwester zu sagen, dass sie endlich etwas ändern muss. Dass sie nicht nur herumhocken kann, auch wenn sie sich für zu alt für fast alles andere hält.

  „Besser, wenn sie nicht kann!“

  Lena nickt und spült weiter. Wenn sie doch kommt, ist es wenigstens ordentlich.

  „Unternehmen wir doch mal etwas ohne sie, hm!“

  Das ist ein recht unerwarteter Vorschlag, und Lena hält sofort mit dem Spülen inne.

  „Ja, machen wir das. Caro würde es sicher auch gutheißen.“

© Margit Yesiltas, Nürnberg

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Noch immer war die Straßenlaterne vor ihrem Haus nicht repariert. Das war typisch für sie. Sie machte sich über alles und jeden einen Kopf, hatte für jeden einen Rat und oft auch helfende Hände. Wenn man jedoch ihre Wohnung betrat, traf man auf ein totales Chaos. Die Straßenlaterne dürfte sie kaum interessieren, sie pflegte sowieso in totaler Dunkelheit zu schlafen und so störte wenigstens das Licht, dass von der Straße in das Zimmer eindrang, nicht mehr. Ihre sporadischen Bettgeschichten störten sich oft daran, wie sie ihren Freundinnen erzählte. Die Auserwählten kannten die Räumlichkeiten nicht aus dem FF und wenn sie dann nachts zur Toilette mussten, stießen sie sich immer andere Körperteile blau. Sie zeigte dann Verständnis, machte aber auch darauf aufmerksam, dass dies nun einmal ihr Schlafzimmer war und hier ihre Schlafpräferenzen galten.

So wie die Laterne, funktionierte weder ihre Kaffeemaschine, ihre Spülmaschine und oft musste auch das Auto zuhause bleiben. Einmal hatte sie eine Affäre mit einem Elektriker. Für diese paar Wochen war alles – natürlich bis auf die Laterne – repariert. Der arme Kerl malte sich wirklich Chancen bei ihr aus. Sie merkte aber schon bald einen starken Widerwillen gegen seine kurzen, oft grammatikalisch falschen Sätze, gegen sein lautes Schnarchen und seine Eigenart, die Ohren mit dem kleinen Finger zu säubern und das Erbohrte danach genüsslich zwischen den Fingern zu drücken und zu untersuchen. Offenbar wusste er auch nicht, was ein Taschentuch war. Für seine ständig laufende Nase musste der Ärmel seines Kleidungsstücks herhalten. Für sie war das ein Grund, immer mehr abgeturnt zu sein. Eines Tages dann war der nützliche Idiot nicht mehr zu sehen. Sie sagte jedem, er habe sie verlassen.

Sie sabotierte sich selbst, sie sabotierte ihr Liebesleben selbst. Dorthin, wo es Männer gab, die zu ihr passen würden, ging sie erst gar nicht. Oder sie gab sich so spröde oder verschlossen, dass die Typen nach dem ersten Wortwechsel aufgaben und sich nach anderen Frauen umsahen. So lebte sie die meiste Zeit allein. Es war also nicht weiter schlimm, dass die Straßenlaterne nicht funktionierte. Die meiste Zeit musste die Straße vor dem Haus nicht erleuchtet werden.

Einmal, als ich mich mit ihr treffen wollte, sagte sie mir, sie habe diese immer gleichen Typen satt und wolle jetzt wirklich strategisch an die Sache herangehen. Sie besuchte Lesungen, Konzerte von klassischen Gitarristen, Opern und andere Veranstaltungen, die sie für vielversprechend hielt. Doch dort fand sie keinen Herzensmann. Sie fühlte sich unter diesen Menschen gelangweilt und die Männer sahen ihr das wohl an. Enttäuscht über sich selbst und die Männer war sie nach diesem Versuch eine ziemlich lange Zeit allein.

© Marion Zwack

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